Was mich als Wissenschaftlerin immer wieder stört, ist die Tatsache, dass Wissenschaft oft im sogenannten Elfenbeinturm stattfindet. Allein schon die Sprache der Wissenschaftler schließt interessierte Laien und Nichtakademiker oft von wissenschaftlichen Diskussionen und Arbeiten aus, geschweige denn der Ausschluss durch die Meinung, dass nur Akademiker Wissenschaft betreiben können und dürfen.
Man benötigt jedoch keine Promotion, um ein Experte auf seinem Gebiet zu werden und zu sein. Man muss nicht Astrophysik studiert haben, um Sterne zu klassifizieren. Man muss keinen Abschluss in Biologie haben, um Vögel zu bestimmen und deren Verhalten zu dokumentieren. Basierend auf dieser Erkenntnis wurde in den letzten Jahren international vermehrt ein Ansatz gefördert, der sich Citizen Science zu Deutsch Bürgerwissenschaft nennt. In den Citizen Science Projekten können alle Interessierten – Laien und Wissenschaftler – an wissenschaftlichen Projekten mitarbeiten, meist in Form von Daten sammeln und analysieren.
Die erste organisierte Aktion von Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit Bürgern fand im Jahr 1900 in den USA statt. Damals wurde zu einer Vogelzählung aufgerufen, um den Bestand bestimmter Arten zu erfassen. Da diese Zählung immer über Weihnachten stattfindet, wurde sie auch die „Weihnachtsvögelzählung“ genannt. 27 Personen an 25 verschiedenen Orten auf dem Kontinent nahmen in diesem ersten Jahr teil und zählten etwa 90 Arten. Heute findet die Zählung der Weihnachtsvögel jährlich vom 14. Dezember bis 5. Januar statt, und normalerweise zählen mehr als 30.000 Menschen weltweit über 2.400 Arten – etwa 65 bis 70 Millionen Vögel pro Jahr.
Das Konzept von Citizen Science ist also nicht neu. Durch digitale Technologien sind jedoch nun neue Möglichkeiten entstanden, ortsunabhängig an Forschungsprozessen teilzuhaben bzw. Bürger mitforschen zu lassen. So können zum Beispiel über Smartphone-Apps Daten erhoben werden oder über eigens programmierte Webseiten Daten online gesichtet und ausgewertet werden. Das erfolgreichste Beispiel dafür ist das Astronomieprojekt Galaxy Zoo – hier haben sich über eine Online-Plattform innerhalb von einem Jahr 150.000 Menschen an der Klassifizierung von Galaxien anhand von zur Verfügung gestellten Teleskopbildern beteiligt.
Inzwischen gibt es aber viele solcher Projekte, für jeden Geschmack etwas. Diese Projekte beschäftigen sich mit Tierbeobachtungen, Astronomie, Umweltverschmutzung (z.B. Licht), Geologie, Ahnenforschung, Archäologie, Ernährung, Gesundheit, Gesellschaftsfragen, Sprachwissenschaft usw., usw., ……
Wer sich dafür interessiert, wie vielfältig inzwischen diese Art der Forschung geworden ist, kann sich auf den verschiedensten Homepages in Deutschland, Österreich und der Schweiz mal umsehen und findet dort vielleicht auch sein für ihn/sie passendes Projekt.
Aber auch international werden die Bürgerwissenschaften weiter vorangetrieben. Deren Wichtigkeit hat z.B. nun im Mai die Australian Post unterstrichen mit der Herausgabe von 4 Marken, die 4 solcher Projekte thematisieren: ein Schmetterlingsprojekt, ein Moskito-Überwachungsprojekt, ein Projekt zur Erhebung von Umweltdaten und ein Projekt zur Erfassung von interkulturellen Daten. Wie gesagt, für jeden was dabei.
Über ein Philatelieprojekt habe ich jetzt noch nichts gefunden, aber vielleicht könnte ja ein Verein/Verband mal ein Projekt einreichen? Ideen, denke ich, gäbe es viele, und wir sind doch alles Wissenschaflter*innen, die ihr Wissen auch teilen wollen ……
Noch eine interessante Randnotiz: die Numismatik ist an Universitäten als Lehrfach vertreten (z.B. Lehrstuhl für Numismatik und Geldgeschichte in Wien, oder als Forschungsgruppe am Institut für Archäologische Wissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt). Hingegen gibt es nichts, was die Philatelie betrifft. Dennoch häufen sich auch hier – vor allem historische Arbeiten – die dass Postwertzeichen als historische Quelle nutzen. Auch gibt es Artikel über naturwissenschaftliche und technische Studien, zum Beispiel in Spektroskopie oder über Sicherheitsmerkmale. Auch die Aktivitäten der Universität Erfurt unter dem Motto «Gezähnte Geschichte» sind hier ein guter Fortschritt. Informationen hierzu finden Sie u.a. hier: https://projekte.uni-erfurt.de/gezaehnte_geschichte/ . Dort gibt es z.B. einen wissenschaftlichen Artikel zur Verwendung von Briefmarken als Propagandamittel im Kontext der Saarabstimmung.