Warum ist es noch so kalt?

Bundesfeier 1928

Oma gibt ihr altes Wissen an Enkelin weiter – Bundesfeierkarte 1928

Warum ist es noch so kalt? Meine Großmutter würde jetzt antworten: „Bis zum 15. Mai hätte mich das nicht gewundert, aber jetzt noch? Die kalte Sophie ist doch bereits vorbei.“ Da frägt man sich doch, was erzählt denn da Oma wieder. Wer ist die kalte Sophie, was für eine Geschichte steckt dahinter? Bundesfeier

Oma erklärte mir vor langer Zeit, dass die kalte Sophie – ihre Namenspatronin – zu den 5 Eisheiligen zählt. Die Eisheiligen sind christliche Heilige deren Namenstage Mitte Mai fallen.

Die Eisheiligen

Nicht alle Eisheiligen sind auf einer Briefmarke zu finden

  1. Der heilige Mamertus (5. Jhd.), Erzbischof von Vienne – 11. Mai
  2. Der heilige Pankratius (3./4. Jhd.), Märtyrer – 12. Mai
  3. Der heilige Servatius (4. Jhd.), Bischof von Tongeren – 13. Mai
  4. Der heilige Bonifatius (3./4. Jhd.), Märtyrer – 14. Mai
  5. Die heilige Sophia (3./4. Jhd.), Märtyrerin – 15. Mai

An diesen Tagen sollen laut alten Bauernregeln die letzten Frostnächte des Frühjahrs möglich sein. Und heute ist bereits der 19. Mai und somit die kalte Sophie vorbei, und trotzdem ist es noch sehr kalt. Deshalb hätte sich ja meine Oma gewundert. Und ich habe bisher auch gedacht, dass in vielen dieser alten Bauernregeln auch ein Quentchen Wahrheit steckt, und war jetzt doch etwas enttäuscht, dass es nach der kalten Sophie noch so kalt ist. Vielleicht sind ja die Bauernregeln doch nur willkürlich aufgestellte Regeln, die sich auch noch nett reimen. „Vor Nachtfrost du nicht sicher bist, bis Sophie vorüber ist.“ Ich kann das nicht glauben und mache mich auf die Suche:

Sämann

Gesät sollte erst nach den Eisheiligen werden

Die Bauernregeln mit den Eisheiligen basieren auf der Erfahrung und den „meterologischen“ Beobachtungen von „Bauern“ im Mittelalter. Nötig waren diese Regeln, da die Bauern in der kleinen Eiszeit im 15. Jhdt. kurzen Vegetationsperioden gegenüberstanden. Dies bedeutete, dass wenn sie spät aussäten, die Ernte gering war; wenn sie früh aussäten, waren die jungen Pflanzen von Frühlingsfrost bedroht. Dieser trat aber auch nur – laut der Bauernregel – bis zur kalten Sophie auf, die Aussaat erfolgte somit erst nach der kalten Sophie.

Zugspitze

Tiefdruckgebiete über Deutschland

In der Meteorologie stellen die Eisheiligen eine sogenannte Singularität dar. Der Begriff Singularität bezeichnet in der Meteorologie, Wetterlagen, die zu bestimmten Zeitabschnitten im Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten und eine deutliche Abweichung von einem glatten Verlauf der Wetterelemente (Temperatur, Niederschlag usw.) darstellen, aber im langjährigen Mittel liegen. So wie eben jetzt: In Mitteleuropa herrschen Ende April schon recht hohe Temperaturen. Das Festland erwärmt sich im Gegensatz zum Meer jedoch deutlich schneller. Diese Temperaturdifferenzen erzeugen Tiefdruckgebiete und verursachen eine Verschiebung der Luftmassen: Warme Luftströme auf dem Festland ziehen nach Norden und saugen „eiskalte“ Luftströme aus den Polargebieten auf das Festland. Genau das, was wir zurzeit jeden Tag auf den Wetterkarten in den Nachrichten sehen. Dass diese Frostperioden im Mai immer auf die Eisheiligen treffen ist leider nicht der Fall, aber dass es noch Fröste im Mai gibt, läßt sich nicht abstreiten.

ZAMG

Von der ZAMG stammt die Statistik über die kalten Tage im Mai in Österreich

Gregorianischer kalender

Die Einführung des gregorianischen Kalenders brachte die Ankunft der Eisheiligen durcheinander.

Wenn man jetzt aber z.B. den Verlauf der mittleren Tagestemperatur im Mai in Österreich, basierend auf den Daten der letzten 50 Jahre, betrachtet, erkennt man einen sehr markanten Temperatureinbruch zwischen 20. und 25. Mai, also rund zehn Tage nach den Eisheiligen. Sind die Eisheiligen also nur „unpünktlich“? Eigentlich nicht, denn ihre Unpünktlich ist wie so vieles auf dieser Welt menschgemacht. Denn 1582 wurde der julianische Kalender durch den gregorianischen Kalender aufgrund einer Anweisung von Papst Gregor XIII ersetzt (warum das notwendig war ist eine andere Geschichte). Dies hatte eine einmalige ersatzlose Streichung von damals 10 Tagen erzwungen: auf Donnerstag, den 4. Oktober, folgte Freitag, der 15. Oktober. Da die Namenstage jedoch auf ihren Daten gesetzt blieben, blieb auch die Kalte Sophie bei ihrem 15. Mai im gregorianischen Kalender. Wenn man aber die nun fehlenden 10 Tage wieder obenauf rechnen würde, käme sie jedoch am 25. Mai. Obendrauf kommt noch, dass der julianische und gregorianische Kalender inzwischen sogar bereits um 13 Tage auseinandergelaufen sind, also die kalte Sophie (d.h. das sie begleitende Wetter) inzwischen auf den 28. Mai kommen würde.

Pünktlichkeit

Die Eisheiligen sind seither scheinbar unpünktlich.

Wenn ich das noch meiner Oma erklären könnte, würde sie sich nicht mehr wundern, und ihre Welt wäre wieder in Ordnung, die kalte Sophie steht ja noch aus. Ich habe auch gelernt, bevor ich „alte“ Weisheiten als nichtig abtue, sollte ich mich vorher immer erkundigen und schlau machen. Ich bin also nicht mehr enttäuscht, weil auf die Eisheiligen kann ich mich immer noch verlassen, auch wenn sie nicht pünktlich sind. Vielleicht bin ich ihnen da sogar ähnlich.

 

Quellen:

https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/die-eisheiligen-verlaesslich-aber-nicht-puenktlich; wikipedia, colnect.com