Oktober 2019 – Warum gruseln?

Eigentlich ist Gruseln das „kleine“ Geschwister von der Angst. Und obwohl Angst bei uns eigentlich negativ besetzt ist, tut und tat sie uns gut. Denn Angst ist ein uralter Mechanismus, der uns schützt. Sie schützte uns vor vielen tausend Jahren vor wilden Tieren und gefährlichen Situationen. Ohne die Angst wären die Menschen vermutlich ausgestorben. Und auch heute noch hat sie ihre Funktion. Sie stimmt unser Gehirn auf die „Kampf- oder Fluchtreaktion“ ein. Jedoch sind einige der Chemikalien, die in unserem Gehirn bei Angst freigesetzt werden, auch an postiven emotionalen Zuständen beteiligt, wie Glück und Aufregung.

Wenn man an die Schaltkreise des Gehirns und der menschlichen Psychologie denkt, sind einige der wichtigsten Chemikalien unsere Stresshormone (z.B. Kortisol – entdeckt von E.C.Kendall), die in solch einem Fall ausgeschüttet werden, reguliert durch den Mandelkern im Gehirn. Immer wenn wir uns in Gefahr bewegen, kreisen daher diese Hormone in unserem Körper. Dies führt zu körperlichen Veränderungen, die uns darauf vorbereiten, in Gefahr effizienter zu sein: Das Gehirn wird hyperalertisch, die Pupillen weitern sich, die Bronchien erweitern sich und die Atmung beschleunigt sich. Herzfrequenz und Blutdruck steigen. Der Blutfluss und der Glukosestrom zu den Skelettmuskeln nehmen zu. Nicht überlebenswichtige Organe wie das Magen-Darm-System verlangsamen sich. In diesem Zustand schafft Angst Ablenkung, was eine positive Erfahrung sein kann. Wenn etwas Schreckliches passiert, sind wir in diesem Moment in höchster Alarmbereitschaft und nicht mit anderen Dingen beschäftigt, die uns beschäftigen könnten (in Schwierigkeiten geraten bei der Arbeit, sich um einen großen Test am nächsten Tag sorgen), was uns zum Hier und Jetzt führt. Ein Gefühl das viele Menschen suchen – u.a. auch in der Meditation. Außerdem, wenn wir diese beängstigenden Dinge mit den Menschen in unserem Leben erleben, stellen wir oft fest, dass Emotionen positiv ansteckend sein können. Wir können ein Gefühl der „Gemeinsamkeit“ erleben.

Trotz aller Angst „redet“ aber der Mandelkern mit unseren Gedächtniszentralen – dem Hippocampus und dem Präfrontalen Großhirn. Dadurch sind wir in der Lage die wahrgenommene Bedrohung zu interpretieren und in den realen Kontext zu setzen. Zum Beispiel kann das Anblick eines Löwen in der Wildnis eine starke Angstreaktion auslösen, aber die Reaktion auf eine Ansicht desselben Löwen in einem Zoo ist eher neugierig und unaufgeregt. Denn der Hippocampus und das Großhirn dämpfen die Amygdala-Angstantwort. Und nach einem richtigen Schreck werden auch Endorphine – unsere Glückshormone – freigesetzt. Hinzu kommt, dass wenn wir in der Lage sind zu erkennen, was eine echte Bedrohung ist und was nicht, haben wir das Gefühl die Situation kontrollieren zu können. Diese Wahrnehmung der Kontrolle ist entscheidend dafür, wie wir Angst erleben und darauf reagieren. Wenn wir den anfänglichen „Kampf- oder Fluchtrausch“ überwinden, bleiben wir zufrieden, sicher und zuversichtlich zurück, uns auch mit Dingen auseinandersetzen zu können, die uns zunächst Angst gemacht haben, eine Theorie, die eine Abwandlung der Anpassungstheorie von J. Seyle verstanden werden kann.

Beide emotionalen Zuständen werden von manchen Menschen – ganz gleich ob als Kinder zu Halloween oder als Erwachsene bei Extremsportarten – gesucht. Diese Menschen suchen den Moment während der Angst, wo nur das Hier und Jetzt zählt – man sich auf die Flucht oder den Kampf vorbereitet und der ganze Körper voller Stresshormone ist. Sie suchen aber eben auch den Augenblick, wenn der Schreck sich auflöst, wenn die Wohlfühlhormone im Blut kreisen – ein Moment der auch Angstlust genannt wird.

Es ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass jeder Mensch anders ist, mit einem einzigartigen Sinn für das, was uns beängstigend oder angenehm erscheint. Wenn das emotionale Gehirn eines Menschen zu verängstigt und das kognitive Gehirn hilflos ist, oder wenn das emotionale Gehirn gelangweilt ist und das kognitive Gehirn zu unterdrückend ist, können beängstigende Erfahrungen nicht so schön/spaßig sein. Abgesehen von allem Spaß können abnormale Angstzustände zu erheblichen Belastungen und Dysfunktionen führen und die Fähigkeit einer Person zum Erfolg und zur Lebensfreude schwerst einschränken. Fast jeder Vierte erfährt im Laufe seines Lebens eine Form von Angststörung, und fast 8 Prozent erleben eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die mit viel Geduld – manchmal auch mit Hilfe von des Menschen besten Freundes – behandelt werden muss.

Quelle: https://www.snopes.com/news/2019/10/06/the-science-of-fright-why-we-love-to-be-scared/ (31.10.2019)