April 2020 – Wie finden die Brieftauben ihren Weg?

Gerade zu Zeiten von Corona, denkt jeder wehmütig an die Zeiten des freien Reisens, dem Zug nach Süden in wärmere Gefilde, zurück. Wir haben diesen Weg anhand von Karten gefunden. Viele unserer Mitbewohner auf dieser Erde finden aber auch ohne solche Hilfsmittel in den Süden – in ihre „Ferienquartiere“. Das sind die Zugvögel – sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde. Dass der Magnetsinn auch im Nahbereich eine Rolle spielen könnte, erschien zunächst – abgesehen vom Heimfindeverhalten der Haustauben (das, wie im Beleg des Monats dargestellt, auch in der Philatelie von Bedeutung ist) – als wenig plausibel. Bei Hühnerküken und Zebrafinken konnten dies jedoch im Experiment aufgezeigt werden, und je mehr man forschte, umso mehr Tiere scheinen einen solchen Sinn zu haben. Inzwischen ist er bei über 20 Zugvögelarten, aber auch bei Insekten (u.a. Ameisen, Monarchfalter), Fischen (Lachs, Aal), Schildkröten, Säugetieren (u.a. Wale, Fledermäusen, Waldmaus) nachgewiesen.

 

 

 

Wie dieser Magnetsinn genau funktioniert und wo er im Körper lokalisiert ist, wird in der Wissenschaft immer noch debattiert. Bei Vögeln ist dies bisher am besten untersucht. Hier kristallisiert sich heraus, dass das Auge und evtl. auch ein kleiner Bereich über dem Schnabel für den Magnetsinn eine wichtige Rolle spielen.

Seit 1972 ist allgemein akzeptiert, dass Zugvögel sich nicht an der Polarität des irdischen Magnetfelds orientieren, sondern an der Inklination, also am Neigungswinkel der Feldlinien relativ zur Erdoberfläche: Bildhaft formuliert dringen die Feldlinien im Norden in steilem Winkel in die Erde ein, am Äquator verlaufen sie hingegen parallel zur Erdoberfläche. Die Vögel unterscheiden folglich „polwärts“ von „äquatorwärts“. Zudem ist der Sinn mit Sicherheit auch lichtabhängig.

Eine mögliche Erklärung für das Zusammenspiel von Magnetsinn und visueller Wahrnehmung basiert auf einer Radikalpaar-Hypothese mit Cryptochrome als verantwortliches Molekül. Zugvögel besitzen in ihrer Netzhaut im Cytosol spezieller Ganglien-Zellen diese Protein, welches auch durch Licht angeregt wird. Bringt man dieses Protein in ein Magnetfeld, dann verändern sich seine chemischen Eigenschaften. Diese chemischen Eigenschaften hängen dem Modell zufolge aber von dem Neigungswinkel der Feldlinien ab: Wenn die Magnetfeldlinien ausgeprägt senkrecht auf das Protein treffen, entsteht ein anderes Verhältnis der beiden chemischen Endprodukte zueinander, als wenn die Magnetfeldlinien relativ flach auf das Protein treffen. Im Ergebnis wird diesem Modell zufolge eine physikalische Gegebenheit (das örtliche Magnetfeld) in eine chemische Gegebenheit „übersetzt“ und so ein wesentlicher Schritt zur Wahrnehmung mit Hilfe eines spezialisierten Sinnesorgans zurückgelegt. Auf diese Weise kann der Vogel die Himmelsrichtungen unterscheiden.

Die zur Navigation nötige Magnetfeldkarte zeichnen Zugvögel vermutlich zusätzlich mithilfe ihres Schnabels auf. Hier stießen Wissenschaftler auf eisenhaltige Partikel, die sich wie kleine Kompassnadeln im Magnetfeld der Erde ausrichten und somit als Magnetsensoren infrage kommen könnten.

Die Strukturen im Oberschnabel der Vögel vermögen so, die örtlich unterschiedliche Feldstärke des Erdmagnetfelds zu messen und damit zum Erzeugen einer „geomagnetischen Landkarte“ beizutragen, während die lichtabhängigen Zellen im Auge die Ausrichtung des Erdmagnetfelds detektieren. Wenn Nervenbahnen, die vom Schnabel zum Gehirn ziehen, blockiert werden, hat das unter Lichteinfluss keine Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des „Magnetkompass‘ im Auge, wohl aber sind die Tiere bei völliger Dunkelheit orientierungslos, wenn zusätzlich der Oberschnabel betäubt wird. Also tragen wohl beide Strukturen zum „Magnetsinn“ der Zugvögel bei.

Trotz dieser Erkenntnisse bleiben noch viele Fragen offen. Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete – Quantenphysiker, Biologen und Vogelkundler – suchen gemeinsam nach neuen Erkenntnissen. Insbesondere, wie die anderen oben genannten Tierarten das Magnetfeld detektieren und sich daran orientieren können.